Coaching und Fliegen
Der Unterschied, der den Unterschied zu anderen Events macht, liegt
im Coaching. Wie schon der Programmname es ausdrückt, ist Coaching
und Fliegen ein integriertes Angebot, das den Fokus auf Coaching hat
und den Eventcharakter des Fliegens dazu ausnutzt, Beziehung
herzustellen und Informationen über den Klienten zu erhalten, die
dann bearbeitet werden. Dabei wird der Transfer zum Arbeitskontext
geschaffen. Die Vorteile von Events werden ausgenutzt unter
Beibehaltung des Bezugs zur Arbeit.
Eigenschaften und Merkmale von Coaching und Fliegen:
Ganzheitlichkeit:
Coaching und Fliegen ist wie andere Events auch auf Ganzheitlichkeit
ausgelegt. Luft ist ein bewegtes Medium. Grenzschichten von
Luftmassen unterschiedlicher Geschwindigkeit und Richtung,
dynamische Effekte von Luftströmungen mit der Morphologie - insbesonders im Gebirge - und Konvektion erzeugen Turbulenz. Im Flug
äussert Turbulenz sich durch mehr oder weniger starkes Schütteln, aber auch wenn der Effekt nicht besonders ausgeprägt ist und man
eher von einem Holpern spricht, so ist die Luft im unteren Stockwerk selten völlig ruhig. Turbulenz und die dreidimensionale Bewegung
im Raum erzeugt Beschleunigungen, die als ungewohnte auf den Körper einwirkende Kräfte wahrgenommen werden.
Beim Fliegen eines einmotorigen Flugzeuges werden auf vielen Sinneskanälen gleichzeitig Informationen verarbeitet. Obwohl ein mit
vielen Instrumenten versehenes Cockpit auch heute noch als Techniksymbol gilt, hat die Überwachung und Beeinflussung der diversen
Anzeigen nicht die Bedeutung, die der Laie ihr gibt. Fluglehrer bemühen sich gleich zu Beginn der Ausbildung, ihren Schülern den „Technik-Blick“
abzugewöhnen und anstelle dessen ein „Gspüri“ für richtige Fluglagen entwickeln. Fliegen als Gefühlssache? – Nicht ausschliesslich, aber im Kern trifft dies
zu. Bei Lageänderungen vergleicht der Pilot primär die Veränderung des Horizontbildes, zur Kurvenkoordination dient das Gefühl, das manche Fluglehrer im
Gesäss orten. Die Instrumentenanzeigen müssen zwar überwacht und einbezogen werden, haben aber durch ihre Anzeigeverzögerung sekundäre Bedeutung.
Interessant ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass auch in den leistungsstärksten Segelflugzeugen aussen auf der Capothaube ein Wollfaden
angeklebt ist. Dieser flattert im Fahrtstrom und zeigt akkurat an, ob das Flugzeug schiebt oder schön geradeaus oder koordiniert in Kurven fliegt. Mit anderen
Worten: Er zeigt an, ob das „Gesässgefühl“ richtig funktioniert oder nicht.
Nach diesen Ausschweifungen zu den einwirkenden Kräften und dem „fliegerischen Gefühl“ möchte ich zur Ganzheitlichkeit folgende Begriffe erörtern:
•
Emotionale Berührung, Erlebnis
•
Mehrkanalige Sinnesreize
•
Koordination, Motorik
Für die meisten Leute ist Fliegen mit einem Leichtflugzeug ein Erlebnis, obwohl Ferien- und Geschäftsflüge alltäglich geworden sind und vielfach als
langweilig empfunden werden. Die Bewegung im Raume, die Kontrolle darüber mittels winziger Inputs an den Steuerorganen, welche ermöglicht, einen für
den Menschen grundsätzlich fremden und gefährlichen Raum zu nutzen und sich darin frei zu bewegen, berührt emotional und wird als starkes Erlebnis
empfunden.
Beim Fliegen wirken vielfältige Sinnesreize auf mehreren Kanälen ein. Übers Auge aufgenommene Reize mögen die wichtigsten sein, aber Gehörsinn,
Druckempfindungen am ganzen Körper, besonders aber über Hände und Füsse eingebrachte Inputs von den Steuerflächen in Form von Kräften, Drücken und
Vibrationen geben dem Piloten wichtige Informationen zum gegenwärtigen Flugzustand und zur Fluggeschwindigkeit.
Aufgrund der eingehenden und verarbeiteten Inputs steuert der Pilot das Flugzeug, indem er Manipulationen vornimmt und mit Füssen und Händen die
Steuerflächen bewegt. Dazu sind koordinierte Bewegungen erforderlich und die Anforderungen an die Motorik sind hoch. Man könnte in diesem
Zusammenhang durchaus die Metapher von analogen im Gegensatz zu digitalen Anforderungen bringen. Wie andere motorisch anspruchsvolle Bewegungen
müssen sie trainiert werden um einen hohen Level zu behalten und mit zunehmendem Alter verschlechtern sich die motorischen Eigenschaften.
In hohem Mass zur Ganzheitlichkeit trägt der Umstand bei, dass Flieger aus der Vielzahl von mehrkanaligen Inputs über die Sinnesorgane diejenigen
herausfiltern und beachten müssen, die für die jetzige oder kommende Flugphase von Bedeutung sind. Und gerade wenn viele oder allzu viele Inputs
hereinprasseln und die Informationsmenge deutlich reduziert werden muss, damit sie bewältigbar wird, spielt die Wahrnehmung über den Körper eine
wichtige Rolle. Der Körper als Instrument ist in der Fliegerei Wirklichkeit und da bietet sich natürlich auch die Chance des Transfers.
Symbolkraft der Fliegerei
Das Bild könnte in einer ersten Ebene gedeutet werden als Flug, welcher von einer festen Piste aus startet und zwischen Wolken hindurch in manchmal
verschlungenen Wegen einem fernen Ziel zusteuert. Auf die Fliegerei bezogen könnten Luftstrassen, Sperrgebiete, Wetter, Flugsicherungsangaben, technische
Rahmenbedingungen und manches mehr den Weg beeinflussen. Der Weg kann nur innert der vom System vorgegebenen Rahmenbedingungen frei gewählt
werden, wozu Entscheidungen in einem komplexen Umfeld notwendig sind.
Auf einer anderen Ebene könnte der Weg als Lebensweg einer Person gedeutet werden. Das Ziel ist beim Start nicht sichtbar und es lässt sich nicht direkt
ansteuern. Die Person wird sich mit den Ressourcen, die sie zur Verfügung hat, die Komplexität der Reise bewältigen müssen. Personen sind mehr oder
weniger dazu fähig, aus ihren Lebenserfahrungen zu lernen und diese in ihre Weiterentwicklung zu integrieren. Die Kurven zeigen Schritte oder Etappen in
der erfolgreichen Bewältigung des Prozesses. Coaching könnte hilfreich sein, um den Prozess und seine Einbettung zu verstehen (Reflexion), um Kontakt zu
einer anderen Sichtweise herzustellen, wie dies mit dem Schatten des Weges auf dem Boden gezeigt wird oder um sich der eigenen Ressourcen bewusst zu
werden und um diese situationsgerecht einsetzen zu können.
Fliegen hat eine hohe Symbolkraft für die Arbeitswelt, was sich auch in vielen Metaphern niederschlägt. Wenn ein Fluzeug startet, macht es einen „take-off“.
Der Begriff findet sich mittlerweile auch in der Geschäftswelt. Wirtschaftskommentatoren beschreiben den Versuch von der amerikanischen Notenbank,
mittels gezielter Beeinflussung der Leitzinsen die Wirtschaft aus einer rezessiven Phase in eine Wachstumsphase überzuführen als „soft landing“. Ohne
„checks“ und „check lists“ kommt heute keine Unternehmung mehr aus und selbst im Gesundheitsbereich spricht man von Gesundheitschecks. „Check-in“
bezeichnet nicht nur das Kofferabgeben am Flughafen, sondern auch das sinnbildliche „sich in einer Gruppe einfinden“. „Briefing“ hat als Begriff seinen Weg
in die Geschäftswelt gefunden. Im fliegerischen Kontext ist ein Briefing die Besprechung der Crew vor dem Flug, in welcher alle für den Einsatz wichtigen
Informationen durchgegangen werden, bzw. der Informationsstand aufdatiert wird und offene Punkte geklärt werden. Analog findet nach dem Einsatz ein
„Debriefing“ statt, in welchem Manöverkritik geäussert wird. „Burn out“ ist nicht mehr nur eine Raketenstufe, die ihren Treibstoff restlos verbrannt hat,
sondern auch eine Person, die sich so in der Arbeit verausgabt hat, dass sie erschöpft und ohne Energiereserven ihre Arbeitsfunktion nicht mehr erfüllen kann.
„Controller“ wird in- und ausserhalb der Aviatik als Tätigkeitsumschreibung verwendet. Aber auch ausserhalb von einzelnen sprachlichen Begriffen ist der
Symbolgehalt der Fliegerei stark. Im Cockpit von grösseren Flugzeugen arbeitet eine Crew. Das Zusammenspiel von Pilot, Copilot und eventuell noch
Bordingenieur wird immer wieder als modellhaftes Idealbild von Teamarbeit genannt. Dabei hält das Bild einer genaueren Überprüfung meistens nicht stand,
weil die Cockpitarbeit so hochgradig strukturiert ist, dass sie nur schwer auf andere Arbeitsteams übertragbar ist. Die Fliegerei wird öfters mit
technologischem Fortschritt und Aufgeschlossenheit in Verbindung gebracht und gilt als Symbol dafür. Tatsächlich lassen sich viele gute Beispiele finden, die
diesen Satz stützen, aber es gibt auch gute Gegenbeispiele. Etwas zwiespältig ist auch der Symbolgehalt Fliegen und Sicherheit: Wohl gibt es kaum eine
andere Branche, in welcher Sicherheit ein so marktgängiger Begriff ist. Selbst die etwas grotesk wirkende Schwimmwestendemo vor jedem Flug wird überall
tapfer durchgeführt. Auf der anderen Seite ist allgemein bekannt, dass Flugzeuge gelegentlich abstürzen und Untersuchungsbehörden immer wieder auf
gravierende Verletzungen von Sicherheitskonzepten stossen.
Der Kapitän als starker Führer, der mit absoluter Entscheidungsgewalt ausgestattet ist und auch mit widrigsten Umständen fertig wird, so dass das Überleben
von Passagieren und Besatzung nur seinen guten Entscheidungen wegen erfolgt, ist ein symbolhaftes Bild, das durch viele Katastrophenfilme genährt wird.
Entscheidungen in der Fliegerei können dramatische Auswirkungen haben – dieses Bild ist stark verinnerlicht und hat symbolische Bedeutung. Etwas weniger
offensichtlich ist die Tatsache, dass Fliegerei sich in einem komplexen Umfeld bewegt und dass Daten für Entscheidungen oft mit einer gehörigen Portion
Unsicherheit behaftet sind. Beispielsweise könnten die neuesten, in der Luft eingeholten Wetterinfos besagen, dass am Zielflugplatz passables Wetter
herrscht, eine Stunde später bei Erreichen desselben geht dort möglicherweise ein Gewitterschauer nieder, der ein Ausweichen auf einen Alternate
erforderlich macht. Das symbolhafte Bild würde dann heissen: Wir verfolgen eine klare Strategie (wir wollen von A nach B fliegen), wir starten das
Unterfangen auch, obwohl wir noch in einer erheblichen Unsicherheit sind, ob wir dort ankommen werden. Wir müssen dieser Unsicherheit arbeiten können
und uns mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen flexibel zeigen, allenfalls Alternativen entwickeln oder gar umkehren, falls nötig.
Klare Konzepte – komplexe Umwelt
Das Adjektiv komplex tauchte im bisher geschriebenen immer wieder auf. Komplex bedeutet anders als kompliziert, dass ein System auf einen Input in einer
nicht vorhersagbaren Weise reagiert. Ein Motor mag kompliziert sein, aber seinen einzelnen Bestandteilen können eindeutige Funktionen zugeordnet werden.
Komplexe Systeme verhalten sich so, dass auf einen spezifischen Input sie mit einem Output reagieren, auf denselben Input ein zweites Mal mit einem
anderen Output, ohne dass sich ein klares Muster ableiten lässt.
Die aviatische Umwelt ist komplex. Wetter mit all seinen Phänomenen lässt sich nur relativ grobmaschig beschreiben und der prognostische Wert wird umso
kleiner, je grösser der Prognosezeitraum und je kleiner die Massstabsebene ist. Beispielsweise lässt sich zwar für einen Ort und eine Zeit eine
Gewitterwahrscheinlichkeit voraussagen, aber ob tatsächlich ein Gewitter dort niedergehen wird, wie die Sicht sein wird, die Windstärke und der
Turbulenzgrad, ob Scherwinde auftauchen oder nicht und mit Hagel gerechnet werden muss, weiss man nicht.
Nebst dem Wetter tragen die Flugsicherung mit den zur Verfügung gestellten Anlagen sowie die Ausrüstung des Flugzeugs zur Komplexität bei. Lufträume
können wegen militärischen Aktivitäten temporär nicht genutzt werden, Verkehrsüberlastungen, Neuzuweisung von Routen und Verfahren sind Umstände, mit
denen sich Piloten auseinandersetzen müssen.
Die Handlungsmuster in der Fliegerei sind demgegenüber überraschend klar und zumeist einfach gehalten. So muss beispielsweise in der gewerblichen
Luftfahrt ein Pilot für jeden Flug einen oder mehrere Ausweichflugplätze einplanen und hat soviel Treibstoff mitzuführen, dass er diese sicher erreicht plus 45
Minuten Reserve. Für Notfälle werden Checklisten zur Verfügung gestellt, die abgearbeitet werden. Fluggesellschaften vertrauen klar vorgedachten Prozessen
und nehmen die Gefahr in Kauf, dass durch die hohe Strukturierung von Abläufen in gewissen Fällen Lösungen verhindert werden.
Für Coaching und Fliegen ist von Belang, dass mit einfachen Mitteln einer komplexen Umwelt begegnet wird. Die Handlungsmuster sind klar genug, dass ein
Klient sie nach kurzer Eingewöhnung gut nachvollziehen kann. Dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Aktionsmöglichkeiten des Klienten hoch
gehalten werden können und dass die Fliegerei als Modell für die Arbeitswelt tauglich ist.
Einfache Technik und Verfahren
Leichtflugzeuge sind recht einfache Maschinen, denen eine solide, bewährte Technik zugrunde liegt. Ausser im Avionikbereich, wo mit Satellitennavigation
High-end Elektronik zum Standard gezählt werden darf, hat sich mechanisch in den letzten 20 Jahren wenig verändert. Für Coaching und Fliegen ist
vorteilhaft, dass Technik und Verfahren gut durchschaubar sind und von einem Laien schnell soweit erfasst werden können, dass er eine aktive Rolle spielen
kann. Die Funktionsweise einer Gemischregulierung kann dem Klienten egal sein. Wenn er aber erfasst, dass das Anflugverfahren auf einen Flugplatz mittels
Standardvolte überall nach den gleichen Kriterien funktioniert, dann weiss er bald einmal, wie ein fremder Platz angeflogen wird und welche Unterlagen
dafür konsultiert werden müssen und hat bereits genügend Kompetenz um bei der Planung und Durchführung mitzureden.
Fliegen als Urtraum der Menschheit
Beinahe jedes Fachwerk über die Geschichte der Fliegerei erwähnt die Sage von Dädalus und Ikarus und verknüpft sie mit dem uralten Traum der Menschheit
zu fliegen. Abheben und „frei wie ein Vogel“ zu fliegen (was ebenfalls wieder eine Metapher darstellt) entspricht einer tiefen Sehnsucht der meisten
Menschen, vor allem wenn diese Sehnsucht in Kontrast zu den eigenen begrenzten Wirklichkeiten gestellt wird. Mit Coaching und Fliegen kann der befreiende
Aspekt in den Fokus genommen werden. Befreiung von tatsächlichen oder vermeintlichen Rollenzwängen, das Ausloten der eigenen Freiheit in der
Rollengestaltung etc wären mögliche Anknüpfpunkte. Das Fliegen selbst wird sehr oft als befreiend empfunden und die fliegerische Freiheit, die nach
Reinhard Mey grenzenlos sein soll ist tatsächlich erlebbar und doch lässt sich über das Fliegen ein romantisch überhöhter Begriff zurückführen und den Bezug
zur Realität herstellen. Wie im persönlichen und Arbeitsleben ist Freiheit in der Fliegerei an einen Rahmen gebunden. Innerhalb dessen kann und darf lustvoll
experimentiert werden, aber der Rahmen selbst stellt eine zu respektierende Grenze dar. Beispielsweise darf mit den meisten Flugzeugen nicht Kunstflug
gemacht werden und sie haben Betriebsgrenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Wird dieser Rahmen missachtet, dann kann das Flugzeug
strukturelle Schäden erleiden. – Solche Rahmenbedingungen sind einfach, klar, verständlich und übertragbar.
Echtheit - Gefährlichkeit
Die Fliegerei im Luftraum mag eine wunderbare Simulationswelt für den Arbeitskontext sein – trotzdem stellt sie eine wirkliche, authentische Welt dar. Mit
feinen Bewegungen des Steuerknüppels und der Pedale lässt sich ein Flugzeug lenken in allen drei Dimensionen, aber ebenso ist die zerstörerische Seite,
Absturz und Tod auch nur wenige Zentimeter Knüppelbewegung entfernt. Beim Fliegen ist das subjektive Bewusstsein über Gefahren hoch. Bereits eine
Steilkurve oder ein plötzliches durch Turbulenz verursachtes Durchsacken kann Passagiere ängstigen, und wer ängstliche Gefühle hat sieht Gefahren. Die
tatsächliche Gefährlichkeit der Fliegerei in einmotorigen Maschinen ist nicht ausgeprägt . Bei Übungen hat man im wahrsten Sinne des Wortes Luft unter sich
und hat genügend Raum um auch ein durchsackendes Flugzeug aufzufangen. Der Coach hat aber während der Flugphasen seine Prioritäten aufs Fliegen zu
legen – genau gleich wie ein Fluglehrer während der Instruktion mit einem Flugschüler.
Es scheint mir wichtig, dass beim Coaching und Fliegen für Führungskräfte die echte Variante und nicht ein Simulatortraining angeboten wird. Die Fliegerei
soll experimentelles und spielerisches Handeln ermöglichen ohne aber zur spielerischen Banalität zu verkommen, damit eine Transferleistung möglich ist.
Neuheit der Situation
Die Komplexität der fliegerischen Umwelt schafft immer wieder neue, originäre Situationen. Auch vielfliegende Piloten haben selbst auf ihren Standardrouten
kaum zweimal dasselbe erlebt. Dieses immer wieder Neue, die originäre Kraft ist ein Merkmal der Fliegerei, welche die Neugier an diesem Metier lange hoch
hält, die Fliegerei immer wieder in einem frischen, belebenden Licht erscheinen lässt und der durch Routinebildung hervorgerufenen Öde entgegenwirkt. Die
beschriebene originäre Kraft wird vom Klienten indirekt wahrgenommen, indem er verspürt, ob die fliegerische Situation für den Coach noch einen Reiz
darstellt oder ob sie nur Abspulen eines Programms ist.
Kommunikation
Fliegen als Kommunikationstraining? – Auf den ersten Blick scheint dieser Gedanke abwegig, da im Cockpit Kommunikation über das Wort erschwert ist. Coach
und Klient tragen ein Headset und sprechen über Intercom miteinander. Funkgespräche werden ebenfalls über das Headset abgewickelt. Zum Verständnis
möchte ich die Funktionsweise des Intercoms verdeutlichen. Da es im Cockpit laut ist, sind die Headsets mit stark dämpfenden Ohrmuscheln ausgestattet.
Das Mikrofon überträgt die Sprache auf die Kopfhörer beider Headsets. Nun sind die Mikrofone so gesteuert, dass sie erst beim (kräftigen) Sprechen
einschalten, ansonsten würden sie ja den Umgebungslärm, den man ja weggefiltert haben möchte, ständig auf die Kopfhörer übertragen. Beim Sprechen
muss man klar und etwas kräftig artikulieren, damit das Mikrofon sauber reagiert, ansonsten sind einzelne Wortbrocken ausgefiltert. Unter diesen
erschwerten Bedingungen wandelt sich die Kommunikation übers Sprechen. Die Cockpitbesatzung schränkt Gespräche ein, was aber gesagt wird, ist zumeist
wohl überlegt und wird klar artikuliert. Die durchgegebenen Sätze gewinnen an Prägnanz. Auch wenn sie beiläufig erscheinen wie „Guck mal hier, diese
Eisformation“, dann hat der Sender der Botschaft dem Inhalt eine hohe Wertung beigemessen, wenn er sie bei diesen erschwerten Bedingungen durchgibt und
es lässt sich daraus wiederum eine Aussage über den Sender ableiten. Verschärft wird die Sprechproblematik durch den Funkverkehr, der phasenweise einem
nicht aufhören wollenden Quasselstrom gleicht. Er muss – je nach Flugphase – mehr oder weniger konzentriert verfolgt werden, um Aufrufe an das eigene
Flugzeug nicht zu verpassen. Zusammengefasst heisst verbale Kommunikation im Flugzeug, dass sie aus viel mehr Pausen als üblich besteht, dass was gesagt
wird, wohl bedacht wird und dass durch die technischen Umstände eine Disziplinierung der Sprechenden erfolgt: es kann nur immer einer sprechen.
Unter diesen Umständen gewinnt die nonverbale Kommunikation an Bedeutung. Diese Ebene muss genutzt werden um Kontakt zwischen Coach und Klient
herzustellen und beizubehalten. Ich habe gute Erfahrungen – auch mit Piloten und Passagieren – gemacht, indem ich ihnen das Gefühl gegeben habe, mich
ernsthaft um ihr Wohlbefinden zu kümmern. Beispielsweise durch eine Abmachung, dass wir einen Flug nur dann fortsetzen, wenn sie sich gut fühlen, oder
bei schwierigen Anflügen mit Piloten die Abmachung, dass wenn einem von beiden Piloten Zweifel oder ein ungutes Gefühl aufkommt oder wenn einer den
Anflug als instabil einschätzt, dieser das Kommando zum Durchstart gibt.
Eingeschränkte verbale Kommunikation führt zu einem Auswahlprozess, welche Mitteilungen in welcher Phase wichtig sind. In ruhigen Abschnitten während
dem Reiseflug verläuft diese Grenzziehung ganz anders als in einer hektischen Landephase mit viel Verkehr um einen herum. Klare Abmachungen, zum
Beispiel auch wer im Cockpit welche Aufgaben übernimmt, bringen Ruhe ins Cockpit.
Als spannend empfinde ich, dass diese Einschränkungen zumeist nicht als kommunikative Verarmung wahrgenommen werden. Daraus lässt sich schlussfolgern,
dass es durchaus vielversprechend ist, das kommunikative Verhalten im Flug während der Coachingphasen anzusprechen und mögliche Bezüge zum sonstigen
Verhalten aufzuzeigen. Als Beispiel möchte ich einen Flug nennen, den ich in der Funktion als Instruktor mit einem Piloten ausführte. Wir hatten die klare
Abmachung, dass er mit dem ihm unvertrauten Flugzeugtyp solange den Landeanflug fortsetzt, bis ich „my control“ sage. Dann fliege ich. Er machte einen
etwas verkrampften Anflug mit stark wechselnden Geschwindigkeiten, so übernahm ich im Endanflug das Flugzeug und teilte ihm das durch „my control“
mit. Trotzdem spürte ich, wie er den Gashebel nicht losliess und ich ihn mit viel Kraft übersteuern musste. Natürlich war das nach der Landung ein Thema:
Einhalten von Abmachungen, Verlässlichkeit, das tun, was man kommuniziert etc. Die Neugier war geweckt, wie dieser Pilot Grenzen verwischt und ob dies
ein festes Muster von ihm war.
Anzufügen ist noch, dass die Beschränkungen im verbalen Austausch – vor allem wenn ohne Headsets geflogen wird – unter Piloten auch nicht immer souverän
gehandhabt werden. Geschichten von zwei Piloten, zum Beispiel in Segelflugzeugen, bei denen jeder meinte, der andere fliegt und mit Eingreifen zuwartet,
bis sie irgendwo in die Büsche krachen, sind legendär.
Für mich selbst waren die fliegerische Ausbildungstätigkeit als CRI , aber auch gewöhnliche Passagierflüge gute Trainings für Coaching und Fliegen. Bei
Checkflügen verschob sich mein Augenmerk mehr und mehr von fliegerischen und technischen Aspekten hin zur Beziehung Pilot –CRI.
Aus der Fülle von Müsterchen und Geschichten, die es dazu zu erzählen gäbe, möchte ich einige wenige herausgreifen.
-
T.E. bekam von seiner Gemahlin einen Fluggutschein mit dem Motorsegler auf seinen Geburtstag geschenkt. Er freute sich im Vorfeld sehr, aber als er
den Motorsegler erblickte, wurde er ziemlich nachdenklich: “So klein habe ich mir den nicht vorgestellt!“ – Man stelle sich die Situation vor: Wir, das sind
T.E., seine Frau und ich, umstanden das Flugzeug, dazu stellte sich noch R.S., ein Pilotenfreund von mir, der es nicht lassen konnte, mit obercoolen
Fliegersprüchen zu flachsen, so dass unserem T.E. das Herz noch ganz in die Hose rutschte. – Ich sagt mir: Nur ja nicht den Flug zu einer Sache von Mut oder
Feigheit hinaufzustilisieren und T.E vor seiner Frau zum Schwächling machen. – Ich sprach darauf ganz gezielt die Technikbegeisterung von T.E. an, liess ihn an
Checks teilhaben und führte ihn in die Systeme der Maschine ein, so dass er die Sicherheitsphilosophie dieses Motorseglers bezüglich Konstruktion und Betrieb
verstand und versicherte ihm, dass er den Flug jederzeit abbrechen oder abkürzen könne. Darauf fragte ich ihn etwas abseits der Gruppe, ob er sich beim
Gedanken an den bevorstehenden Flug wohl fühle und ob er glaube, dass dieser ihm Spass machen würde. T.E. bejahte beide Fragen und fühlte sich nun
genügend sicher um zu fliegen.
In der Luft machte er aber immer noch einen eher angespannten Eindruck. Er wusste theoretisch genau, was passiert, wenn der Anstellwinkel zu gross wird,
die Strömung abreisst und das Flugzeug allenfalls in eine Vrille gerät. T.E. hatte zwar im bisherigen Flug erfahren, dass unser Flugzeug nicht auf diese Weise
abstürzte, aber sein Wissen ängstigte ihn. Ich bot ihm an, dass wir diesen kritischen Bereich in sicherer Höhe erfliegen und ich würde ihm das Verhalten der
Maschine und das Retablieren aus dieser Lage vorzeigen. T.E. verwarf die Hände, nein dies wolle er jetzt nicht. – „Darf ich diese Manöver etwas später
fliegen“ – „Ja, gut, aber jetzt noch nicht!“ – So wartete ich noch ein Weilchen, bis seine Körperhaltung etwas lockerer wurde, dann liess ich die Strömung
abreissen und fing den Vogel wieder auf. Von diesem Moment an war die Angst im wahrsten Sinn des Wortes überwunden. T.E. wirkte wie befreit, nichts
konnte ihn mehr ängstigen und genoss den Flug in vollen Zügen.
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R.C. ist Pilot und wir unternehmen viele Flüge gemeinsam. Er fliegt nicht gerne allein. Vordergründig sagt er dies nicht, aber er hat Angst, alleine an
Bord zu sein und fürchtet sich vor Situationen, die ihm über den Kopf wachsen könnten. Im Cockpit ist er sehr nervös. Seine Inputs in die Steuerorgane sind
zackig und oft überreagierend, wodurch der Flugpfad holpriger als nötig wird. Steigt sein emotionaler Level an, beginnt sein rechtes Knie rhythmisch nach
links und rechts zu schwingen. Auf meine verbalen Inputs reagiert er meistens mit dem „Immer-eine-Ausrede-haben-Muster“: „Ja, ich habe schon gesehen,
dass die Geschwindigkeit im Anflug höher als 60 kt war, aber ich habe das wegen dem Wind gemacht, ich dachte es sei etwas turbulent.“ Oder: „Oh, heute
möchte ich keine Steilkreise machen, du hast ja gesagt, der Flieger müsse bald in den Service, und da möchte ich nicht noch etwas machen, das ihn
belastet.“ Oder: „Ich weiss schon, dass wir durch die Voltenhöhe hindurchgesunken sind, aber der Motor läuft etwas rau, da wollte ich so schnell wie möglich
landen.“ – Zur Zeit fliegt R.C. immer noch sehr häufig mit mir, aber er hält eine Höhe eisern ein und findet zunehmend Spass am präzisen Fliegen. Anflüge
fliegt er recht konstant und nach einer Landung macht er jetzt äusserst akkurate Analysen, ohne sein Dazutun irgendwie zu beschönigen. Was hat diese
Verhaltensänderung bewirkt? – In erster Linie Geduld. Ich versuchte, seine Angst zu mindern, indem ich nicht zuviel aufs Mal verbessern wollte und nur
Manöver flog, die noch für ihn bewältigbar waren und ihn nicht erschreckten. Dazu stärkte ich ihn, indem ich meine Wertschätzung zeigte über die Dinge, die
er konnte und ihm gelangen. Schliesslich war ich ihm durch mein Verhalten ein Vorbild, indem ich ihm zeigte, wie ich mit meinen Fehlern umging. So wurde
die Grundannahme über die eigene Fliegerei bei R.C. verändert und wurde aus einer nicht erfüllbaren Fehlerverhinderungstaktik eine fehlertolerante Taktik.
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M.Z. ist ein 65jähriger Pilot, der aber recht wenig Flugerfahrung hat. Er ist immer sehr aufgestellt, unerschrocken und plappert fröhlich vor sich hin,
was er gerade am machen ist. Eines Tages machten wir einen Landeanflug mit einer ihm nicht vertrauten Maschine. Ich liess ihn aktiv fliegen, hatte aber
zuvor klar abgegrenzt, dass ich im Endanflug übernehmen werde. Falls ich eingreifen würde, dann käme von meiner Seite ein lautes „my control“ und er solle
die Steuer loslassen. M.Z. bestätigte, dieses Verfahren war zum Schulen Standart. Im Queranflug gelang es ihm nicht, die gewünschte Lage stabil zu halten.
Ich korrigierte erst verbal, dann griff ich mit dem abgemachten „my control“ ein. Er bestätigte mit „your control“, dass er die Steuer an mich übergeben
hatte, doch hielt er sie noch fest umschlossen. Ich übersteuerte ihn mit Kraft und hiess ihn die Steuer loszulassen. Er monierte umgehend, dass er nur ein
wenig mitgefühlt habe, was ich mache. Darauf verringerte ich den Druck und spürte, wie er die Nase versuchte nach unten zu drücken. Wieder hielt ich
kräftig dagegen und so landeten wir. Nach der Landung drehte er sich triumphierend zu mir um und meinte grinsend: „Hab ich doch gar nicht schlecht
hingekriegt, diese Landung, nicht?“ – Im Debriefing konfrontierte ich ihn damit, wie ich die Landung erlebt hatte und wir führten im Anschluss eine längere
Diskussion. M.Z. hatte die Aufgabe und klare Rollenverteilung intellektuell zwar aufgenommen und bestätigt, in der feinmotorischen Umsetzung klaffte aber
eine erhebliche Lücke zwischen dem, was er bestätigte und dem was er tat. Ich versuchte darauf, seine Wahrnehmung dieser Lücke zu schärfen. In
Flugübungen wechselte ich häufig die Aufgaben und Tätigkeiten, bis es ihm gelang, Anweisungen präzise und zügig umzusetzen. Dazu verlangte ich
konsequent, dass er seine Leistungen selbst einschätzte. Allmählich wich die eher unkritische Haltung gegenüber seinen Flugmanövern und machte einer fein
differenzierten Abstufung Platz.
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Beim Absetzen von Fallschirmspringern nehme ich gelegentlich einen Passagier mit. Auf diesen Flügen lege ich Passagier und mir immer einen
Rettungsfallschirm an. Bei P.S. zeigte ich, wie man den Fallschirm richtig anzieht und die Gurten strafft. Dann erklärte ich das Prozedere eines
notfallmässigen Ausstiegs und das Öffnen des Rettungsfallschirms. P.S. machte grosse Augen und versteifte sich. Das Gewicht des Schirms von rund 8 kg
manifestierte eine Realität, die P.S. nicht wahrhaben wollte: Der geplante Flug könnte gefährlich sein. Gefahren und die Möglichkeit zu sterben werden im
Alltag derart gut verdrängt, dass das Spüren eines Rettungsgerätes am eigenen Körper bereits eine Bedrohung war, denn es hiess zu akzeptieren, was man
nicht wahrhaben wollte.
Ich versuchte nicht, P.S. von der Harmlosigkeit des Fliegens zu überzeugen, sondern sprach mit ruhiger Stimme von den möglichen Gefahren und ging
mögliche Szenarien durch. Dadurch verlor die Gefahr etwas von ihrem dämonischen und wurde greifbar, konkret und es liess sich damit leben. Ich spürte, wie
P.S. ruhiger wurde. Sie zeigte im Flug keine Angstreaktionen mehr und konnte ihn richtig geniessen.
-
U.K. war ebenfalls Passagierin bei einem Absetzflug. Sie wollte erst nicht fliegen und liess sich dann von der Begeisterung ihrer Freundin anstecken,
die zuvor zum ersten Mal mit einem Tandemsprung Freifall erlebt hatte.
Kaum waren wir in der Luft, richtete sie sich mit kerzengeradem Rücken im Sitz auf, starrte fixiert nach vorn und sagte: „Oh Gott, ich kann nicht nach unten
sehen. Was habe ich mir da eingebrockt!“ - Ich sprach auf sie mit beruhigender Stimme ein: „Atmen Sie ruhig ein und aus. Nochmals: einatmen, spüren, wie
der Atem ganz tief in die Lunge eingesogen wird und wieder ruhig ausatmen. Legen Sie eine Hand auf ihren Bauch und konzentrieren Sie sich darauf, wie ihr
Zwerchfell regelmässig auf und ab geht!“ - Sie tat wie geheissen. Ich baute die Atem- und Entspannungsübungen noch etwas aus und führte U.K. , so dass sie
sich ganz auf ihren Körper konzentrierte und wie dieser mit ihrer Angst umging. Dann liess ich Sie die Angst beschreiben, wie sie sich anfühlte, wo genau sie
sass und wie die Angst von ihrem Körper gespürt wurde. Allmählich wich die übergrosse Spannung aus ihrem Körper. Mittels eines Reframings versuchte ich,
U.K. zu überzeugen, dass sie die Angst eingeladen hat, bei ihr zu sein, und dass es nun Zeit sei, der Angst ein weniger bedeutendes Plätzchen zuzuweisen.
Tatsächlich sprach sie darauf an, nur erlitten wir wieder Rückschläge, sobald ich die Maschine für einen Richtungswechsel in eine leichte Kurve legen musste.
Ich wollte U.K. noch weiter bringen, da ich zum Absteigen und Landen „wildere“ Manöver fliegen musste als im Steigflug. Ich änderte den Rahmen nochmals:
„Versuchen Sie sich ganz fest vorzustellen, nicht dass Sie in einem Flugzeug sitzen, sondern dass Sie mit diesen Anschnallgurten, welche Sie auf dem Sitz
festmachen, mit einem Apparat verbunden sind, der ihnen Flügel gibt. Sie können nicht fallen, Sie haben Flügel an, die sie tragen!“ U.K. lächelte und konnte
nun den Kopf leicht zur Seite neigen und hinunterschauen. – Den Absetzvorgang machte ihr nicht einmal so viel aus, der schnelle und kurvige Abstieg brachte
U.K. wieder an ihre Grenze. Da guckte sie mich an und sagte: „Noch besser, als wenn ich mir vorstelle, ich habe selbst Flügel, ginge es mir, wenn ich meine
Hand auf Ihr Knie legen dürfte.“ – Ich liess sie gewähren, getreu den Ansätzen der Kurzzeittherapie von Steve de Shazer, welcher fordert, dass anstelle einer
tiefgehenden Analyse des Problems Lösungen gefunden werden müssen, welche bewusste Ausnahmen der als problematisch erlebten Muster sind.
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© Cajacob - Gestaltung und Bilder: casolf